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Wir haben nichts erwartet und sind trotzdem enttäuscht
04.01.2019 04:00, Jänschwalde
Die letzten Stunden hat es geschneit. Wir stapfen durch den Wald, weit genug weg von den Wärmebildkameras. Trotz Neumond ist es wahnsinnig hell. Die Sterne am Himmel sind deutlich zu sehen. Über dem Tagebau liegt ein weiß-grauer Lichtschleier. Die Bagger, Förderbänder und Maschinen im Tagebau sind beleuchtet.
Wir sind an der Kante des Tagebaus Jänschwalde angekommen. Alles ist vorbereitet.
Der erste Blick über die große, kahle Fläche fasziniert. Der zweite stimmt traurig. Mehrere Kilometer tote, abgebaggerte Fläche. Keine Tiere, keine Natur. In der Ferne ein paar Reste dünner Nadelbäume.
Das bestätigt unsere Überzeugung: Was wir vorhaben, ist gesellschaftlich wichtig.
Es ist notwendig sich jetzt zu engagieren, jetzt zu demonstrieren, jetzt Menschen zu erreichen und die Dringlichkeit eines schnelleren Kohleausstiegs zu verbreiten. Die Kohlekommission spricht von vermeintlich demokratischer Abstimmung, von vermeintlichem Konsens, von einem möglichen Kohleausstieg 2038. Aber von welcher Demokratie sprechen sie hier? Ein solidarischer Akt mit deutschen Unternehmen und Arbeiter*innen, ihre Arbeitsplätze weitere Jahre zu schützen?
Wir können nicht alle Vorteile einer globalisierten Wirtschaft nutzen, uns aber dann nur um uns selbst kümmern. Wir müssen einstehen für globale Solidarität. Nicht nur für nationale Solidarität. Es ist unsere Verantwortung die zu schützen, die unter unserem hohen CO2-Ausstoß leiden. Wir müssen es schaffen, das 1,5°- Ziel einzuhalten, um Menschen und Zukunft zu schützen. Deshalb ist der sofortige Kohleausstieg in Deutschland notwendig.
04:30
Inzwischen sind wir am Eimerkettenbagger angekommen. Wir verteilen uns auf die beiden oberen Krähne. Es ist kalt, aber klettern und Adrenalin halten uns warm. Wir rollen unsere Transparente aus: „#ABSCHALTEN Klimawandel kennt keine Kompromisse“, „Don’t sell the future! End coal now!“ und natürlich unser Lieblingstransparent „Wir haben nichts erwartet und sind trotzdem enttäuscht“.
Nachdem alles hängt, fangen wir an, uns einen windgeschützten Bereich einzurichten, während langsam die ersten Werkfahrzeuge und Arbeiter die Grube erreichen.
Das Backoffice hat inzwischen Polizei und LEAG über unsere Anwesenheit informiert. Das scheint nicht bis zu den Arbeiter*innen durchgedrungen zu sein. Noch haben sie die 15-40qm Transpis und uns nicht entdeckt und versuchen immer wieder den Bagger anzufahren, der durch unser Drücken des Notstopp-Knopfs immer wieder zum Stillstand kommt.
Ich winke ein paar Mal vom Kran Richtung Arbeiter „Guten Morgen! Der Bagger ist besetzt.“ Sie nehmen uns zum ersten Mal wahr und antworten mit einem schnippischen „Ne Runde Karussell fahren? Festhalten, es geht los!“.
Wir sitzen noch immer am Notstopp. Noch ein, zwei Mal, dann geben sie auf.
12:00
Es ist Tag. Das Wetter spielt wunderbar mit, es sind Plusgrade und die Sonne scheint uns ins Gesicht. Ein paar tanzen gemütlich um sich aufzuwärmen. Leise schallt es „Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf dem Sonnendeck…“ Die Musik passt hervorragend. Ich freue mich.
LEAG’s Werksfeuerwehr trudelt langsam ein. Von Polizei weit und breit keine Spur. Sie haben nicht vor, mit uns zu reden. Sitzen unten im Auto. Warten.
Über Twitter verfolgen wir die Besetzung der zweiten und dritten Grube, Welzow-Süd und Schleenhain. Am späten Nachmittag kommt die Nachricht, Welzow-Süd wird von Klettercops geräumt. Erst friedlich – dann grob und mit Schmerzgriffen durch Beamte.
Später höre ich, dass die Aktivisten*innen mehrere Stunden, die Hände mit Kabelbindern eng zusammengebunden, in der Kälten sitzen und warten.
Die Dämmerung bricht langsam an. Mit ihr werden die ersten Polizist*innen mit Fahrzeugen der LEAG durch den Tagebau zum Eimerkettenbagger gebracht.
Sie sprechen nicht mit uns.
Nach einiger Zeit kommen einige Mitarbeiter der Feuerwehr auf die zweite Etage, wir kommen ihnen entgegen. Quatschen.
Bis wann wir bleiben wollen und dass wir vorsichtig sein sollen.
Bis 20 38, bis zum Kohleausstieg, ist unsere Antwort.
Mehr Austausch gibt es erst mal nicht. Wir demonstrieren und twittern weiter.
In Welzow-Süd wurden die letzten Aktivisten*innen geräumt, ihr letztes Video endet mit den Worten „Wir sind hier um den Kohleausstieg 2019 einzuläuten!“.
Das passt uns gut in den Kram.
20:19
Wir haben unsere Sachen schon gepackt. Unsere Transpis abgehängt, unser Lager abgebaut. Wir haben nicht vor zu bleiben, wenn der Betrieb eingestellt ist und die Nacht anbricht. Wir wurden nicht geräumt. Die Polizei hatte uns bisher nur zwei Mal aufgefordert zu gehen.
Der Ausstieg ist jetzt: 20 19, rufen wir und singen:
„Es ist vorbei bye bye Tagebau. Es ist vorbei. Es ist vorbei bye bye.“
während wir die Leitern runtergehen und die letzten Treppen in Begleitung unsicherer Polizisten, die uns noch beweisen müssen, wer höher in der Rangordnung steht.
Obwohl nur 3 Aktivistinnen unter uns sind, ist die Polizei, mit nur einer Polizistin, der die Verantwortung für uns alle 3 zugeschoben wird unterbelegt und überfordert. Wir müssen einen Teil unserer Kleider ausziehen. Die Rucksäcke und wir werden durchsucht und abgetastet.
In Transportern werden wir zur Gefangenen-Sammelstelle nach Cottbus gebracht. Ich schlafe die gesamte Fahrt. Etwa 40 Minuten. Wir sitzen. Die Polizisten*innen stehen, obwohl es genug freie Plätze gibt.
In der GeSa angekommen das Gleiche nochmal. Teile ausziehen. Andere komplett nackt. Kontrolle. Abtasten. Und die Aufforderung: „Einmal das schönste Gesicht fürs Foto, bitte!“ Die Beamten scheinen nicht abgesprochen und unerfahren. Behaupten unterschiedliche Sachen, behandeln uns unterschiedlich.
Ich grinse, kneife meine Augen für das Foto zu. Höre mir meine Vorwürfe an und rede nicht viel.
Die Protokollantin behauptet, meine Schwester hier vorhin schon gesehen zu haben. Ich spiele mit und tue so, als hätten sie mich ertappt.
Ich werde mit einer der weiblichen Person aus der Aktion in eine Zelle gebracht. Die andere wurde versehentlich zu den Personen aus der anderen Aktion gebracht. Sie sind 10 Personen, die männlich gelesenen 11. Wir sind zu zweit in einer dritten Zelle.
Wir werden zur genaueren Identitätsprüfung einzeln in einen anderen Raum gebracht. Dieselbe Protokollantin sitzt dort und spricht wieder von meiner vermeintlichen Schwester. Ich habe gute Laune und mache mich über die Beamten und mich selbst lustig. Der Beamte, der meine Identität prüfen soll, lässt mich Größe, Schuhgröße und Gewicht selber sagen. Ich antworte beliebiges, strecke ihnen auf den Fotos die Zunge raus, verwackle meine Handabdrücke.
Später liest die Richterin vor: Geschätztes Alter: 43. Ich muss lachen und bin verwirrt.
Der selbe Beamte der scheinbar nicht wirklich daran interessiert ist, herauszufinden wer ich bin, schlägt einem anderen Aktivist ins Gesicht, wird als cholerisch beschrieben, verhält sich bei jeder Person anders. Entweder er ist schizophren oder versucht eine Strategie, die mir bis heute nicht klar ist.
Ein bemühter Beamter, ich bin mir nicht sicher was seine Position ist – er hat langes Haar, trägt dünne Jute-Schuhe und einen bunten Wollpullover – bringt uns nachts um 01:00 Uhr dünne, fast transparente Einwegdecken, die nicht wärmen, sowie glutenfreies Brot, vegetarische Würstchen und pflanzlichen Frischkäse zum Abendessen.
Wenn ich auf Toilette muss, muss ich warten bis eine Beamtin in der Nähe ist. Es gibt nur ein oder zwei, welche für 12 Personen verantwortlich sind und jede immer wieder in die Toilettenräume begleitet.
Wir sitzen in einem hellen Raum, vielleicht 9qm groß, neue, weiße Fliesen zieren Boden und Wände. Erst liege ich auf der Bank. Später auf dem Boden. Die Fußbodenheizung ist fast angenehm. Ich bin zu übernächtigt, bekomme sowieso keine Matratze und schlafe einfach ein. Fast 8 Stunden. In der Zwischenzeit klopfen die anderen Zellen immer und immer wieder an die Türen. Sie fordern ein Telefonat ein. Es wird uns immer und immer wieder widerrechtlich verwehrt.
Erst gegen 9:00 Uhr kommen zwei Beamte und fragen, ob wir Sonderwünsche fürs Frühstück haben. Vegan/vegetarisch ist unsere Antwort. Es kommen Kaffee und Wurstbrot. Zu Mittag gibt’s Fisch. „Ist doch vegetarisch?“ nörgelt ein Polizist.
Wir sind seit mehr als 12 Stunden in dem kleinen, hell beleuchteten Raum. Langsam werde ich ein bisschen nervös.
Wir waren auf 12 Stunden eingestellt. Vielleicht noch bis zum Abend des Folgetags. Uns wird allein Hausfriedensbruch vorgeworfen. Ähnliche Aktionen zuvor haben geringere Repression erfahren.
Zwei Anwältinnen werden zu uns gelassen. Sie klären uns über den aktuellen Stand aus. Es dauert eine Weile, bis die Polizisten es schaffen, die Sprechanlage im Flur auszustellen und wir uns in Ruhe unterhalten können.
Drei Aktivisten haben seit einigen Stunden Fieber und warten auf ärztliche Betreuung. Der Arzt trifft ein, aber verweigert die Behandlung. Er würde keine Personen behandeln, dessen Namen ihm nicht bekannt sind. Die Nummern, die uns zugeteilt wurden, reichen ihm nicht aus. Er geht.
Wir sollen Richter und Richterin vorgeführt werden. U-Haft.
Hausfriedensbruch in Kombination mit Identitätsverweigerung. Bis zu 2 Monate JVA halten sie für legitim. Zwei Monate? Für unsere Anwältinnen und uns vollkommen ungerechtfertigt und in keinem Verhältnis zu dem, was wir getan haben. Ein ähnlicher Fall in Brandenburg ist mir nicht bekannt.
Klimaschutz ist Notwendigkeit. Kein Verbrechen.
Wieder ausziehen. Jetzt komplett. Kleider kontrollieren. Rucksack kontrollieren. Ich frage einen Beamten, ob ich hier ein bisschen Müll entsorgen kann, damit seine Kollegen diesen nicht immer und immer wieder durchsuchen müssen. Er stimmt zu.
Ein anderer Beamter fällt ihm in den Rücken. „Sind wir hier die Mülldeponie? Deinen Kram kannst du schön selbst mitnehmen.“
Jo, danke. Wunderbar abgesprochen, die Jungs hier.
Ich habe meinen Pullover noch in der Hand, werde gefragt, ob ich ihn mit den Gefangenentransporter nehmen will. Ein Beamtin ruft zu mir rüber: „Pack ihn in den Rucksack.“ Der Rucksack wird im Transporter weggesperrt. Sie dreht sich zu einem Kollegen und murmelt schnippisch „Ist mir egal ob sie friert. Hauptsache es geht mal vorwärts hier.“
Die Schichten der Beamten wurden bereits mehrfach getauscht. Sie haben viel zu wenig weibliches Personal. Die wenigen Beamtinnen werden immer wieder zwischen Amtsgericht und GeSa hin und her geschickt.
Wir sitzen zu dritt in einem kalten, dunklen Transporter. Wenig Platz. Kalte Alu-Wände. Keine Anschnallgurte. Eine vergitterte Tür. Wir sitzen lange im Dunkeln, bis das Licht endlich eingeschaltet wird.
Der Transporter fährt holprig, ich rutsche mehrfach vom Sitz. Es ist schön, nicht alleine zu sein. Die dritte Person saß in der Zelle mit den vielen Personen, sie erzählt uns, worüber sie gesprochen haben, welche Absprachen es gibt und ob sich Personen identifizieren wollen. Wir erfahren, dass die JVA Cottbus und Luckau bereits voll sind und die nächsten Personen nach Brandenburg an der Havel gebracht werden sollen. Zwei Stunden von hier. Wir sind uns unsicher.
Ich stehe zu 100% hinter der Aktion, hatte eigentlich nicht vor meine Identität preis zu geben. Aber die Voraussicht mehrere Wochen zu sitzen, für so geringen Strafbestand? Das kann ich nicht mit mir vereinbaren.
Während ich in einer Einzelzelle im Amtsgericht warte, bis ich vernommen werde, denke ich darüber nach, welche Verpflichtungen ich habe. Ob es für mich tragbar ist, lange weg zu bleiben, welchen Vorteil es hat, wie notwendig es für mich ist. Ich weiß, dass es den beiden in den Zellen neben mir schlechter geht als mir. Ich pfeife laut und klopfe im Tackt gegen die kleinen Fenster. Es schallt über die Flure. Manchmal höre ich die anderen mitpfeifen.
Meine Anwältin kommt und klärt mich auf. Sie haben sich Stunden lang gestritten, diskutiert, gerechtfertigt. Die Richterin bleibt hart und rückt nicht von ihrem Urteil ab. Bis das Verfahren durch ist, bis maximal Anfang April sollen wir in Untersuchungshaft.
Bisher hat nur eine Person sich dazu entschieden die Personalien anzugeben. Ich werde die Zweite sein.