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#Lausitz23: Neue Briefe aus der Untersuchungshaft
Nach dem gemeinsamen Brief melden sich Nonta, Stanley und Vincent nun auch einzeln zu Wort. Lest hier die Gründe der Climate Heros für Baggerbesetzung und Identitätsverweigerung.
Nonta
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Stanley
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Vincent
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Verfolgt den aktuellen Stand auf Twitter unter #climateheros und #Lausitz23 .
Außerdem freuen sich die Gefangenen weiterhin sehr über Briefe in die JVA Cottbus!
Hier ist eine Adresse, die ihr als Berliner Absenderin für eure Briefe an die 3 Gefangenen aus der Lausitz nehmen könnt, damit ihr nicht eure private Adresse benutzen müsst. Wenn ihr mit einer Antwort rechnet, solltet ihr aber auch mal dort vorbei und nach der Post schauen, damit die sich dort nicht häuft. Wenn doch nichts angekommen ist, dann stöbert es sich ja vielleicht auch ganz gut in der Bibliothek.
Adresse (Absenderin):
“Pseduonym”
c/o Kalabalik
Reichenberger Str. 63a
10999 Berlin
Und hier die Adressen, jeweils eine Person aussuchen und dann die Adresse unten drunter schreiben
84 Gs 19/19 Stanley (UMP02)
84 Gs 20/19 Nonta (UMP03)
84 Gs 21/19 Vincent (UMP04)
JVA Cottbus-Dissenchen
Oststraße 2
03052 Cottbus
Tipps für Briefe an Gefangene findet ihr hier .
Nonta
Hey, ich bin Nonta, Anfang 30, studiere Politik und Physik auf Lehramt und sitze seit mittlerweile mehr als eine Woche in Haft, weil ich mich für Klimagerechtigkeit eingesetzt habe. Im Zuge meines Studiums habe ich intensiv mit Möglichkeiten politischer Teilhabe auseinandergesetzt. Als ich noch ein Schüler war, wurde mir beigebracht, es gäbe zwei Möglichkeiten sich politisch zu engagieren: alle paar Jahre wählen gehen oder sich einer Partei anschließen.
Mittlerweile habe ich gemerkt, dass das Spektrum politischer Teilhabe weitaus größer ist. Mit meiner Arbeit im Bündnis “Ende Gelände” kann ich deutlich mehr für Klimagerechtigkeit erreichen als mit einer Parteimitgliedschaft bei der SPD (die uns gerade hier in Brandenburg in Haft hält). Und wenn ich für ein Tag einen Braunkohlebagger besetze, kann ich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diesen Ort der Zerstörung richten. Und dies sind nur zwei Möglichkeiten, Politik und Gesellschaft aktiv umzugestalten.
Der Aufstieg der Rechten in den letzten Jahren, verkörpert durch die AfD, zeigt die Eliten- und Politikverdrossenheit der Menschen. Vor knapp 90 Jahren haben wir leidvoll erleben müssen, wohin das führt. Deshalb appelliere ich als Aktivist und zukünftiger Politiklehrer nicht zu resignieren angesichts dieses ungerechten Systems, sondern selbst aktiv zu werden und für die eigene Vision einer besseren Gesellschaft zu kämpfen.
Solidarische Grüße, euer Nonta
P.S. Tausend Dank für die vielen Briefe, die wir jeden Tag bekommen! Sie geben uns unglaublich viel Kraft und Motivation weiterzumachen.
Stanley
Hi,
ich bin Stanley. Ich bin 23 Jahre alt und studiere Mathematik. Wie ist es dazu gekommen, dass ich im Gefängnis sitze, weil ich auf einen Kohlebagger geklettert bin?
Es heißt, dass ein gesundes Hirn, das vor einem Problem steht, welches es nicht lösen kann, das Problem einfach ignoriert. So geht es den meisten Leuten, wenn sie über die Zerstörung unseres Planeten durch die industrielle Gesellschaft nachdenken.
Ich hatte vielleicht das Glück, nach dem zwei ersten intensiven Sudienjahren, ein Jahr zu haben, in dem ich bezahlt wurde, jedoch nicht viel arbeiten musste. Da hatte ich ungeheuer viel Zeit zum Nachdenken. Die Konsequenz war eine Depression, als ich ohne Erfolg versuchte, den Sinn des Lebens herauszufinden. Was ich dennoch herausgefunden habe, ist, dass unser unser heutiges wirtschaftliches und gesellschaftliches System richtig kacke ist und dass es vielleicht gar keine schlechte Idee ist, ein bisschen Energie darin zu investieren, zu versuchen es zu verändern.
Vincent
Ich sitze hier gerade in meiner Zelle in der JVA Cottbus und versuche mir zu vergegenwärtigen, warum ich hier gelandet bin. Denn hätte mir jemand vor ein paar Wochen gesagt, ich würde bald Briefe aus dem Knast schreiben, ich hätte es ihm nicht geglaubt.
Während der letzten Kleingruppenaktion am 4. Februar 2019, die mich hierher gebracht hat, nannte ich mich Vincent. Die Wärter*innen nennen mich UmP04, das steht für “unbekannte männliche Person Nummer 4”. Vor ein paar Jahren habe ich die Schule beendet, reiste ins Ausland und machte mehrere Praktika. Ich merkte schnell, dass mein eigentlicher Plan, “irgendwas mit Medien” zu machen, mich nicht erfüllte. Gleichzeitig bekam ich viel von den Problemen mit, die der Klimawandel auslöst und wen sie vor allem betreffen: Menschen, die viel weniger besitzen als der durchschnittliche Bürger/die durchschnittliche Bürgerin in Deutschland. Erst später realisierte ich, dass diese Menschen auch viel weniger zum Klimawandel beitragen. Ich fühlte mich schlecht und wusste nicht, was ich tun kann, denn es ist sehr schwierig, die eigentlich erlaubten 1,5 Tonnen Co2 pro Jahr auszustoßen und gleichzeitig ein Teil der Gesellschaft zu bleiben. Ich bemerkte das strukturelle Problem dahinter und ging auf Demonstrationen, doch wir wurden meistens nicht mal wahrgenommen. Das war noch frustrierender. Wir machen unsere Zukunft kaputt und die der vielen Milliarden Menschen und Tiere, die heute und in Zukunft auf dieser Erde leben, doch die Menschen, die wirklich etwas dagegen tun können, schauen lieber aufs wachsende Bruttoinlandsprodukt, steigende Export- und Importraten und den damit einhergehenden Verbrauch unserer Ressourcen. Doch besonders erschütterte mich, wie sich die wissende Bevölkerung schon darüber freut, wenn sie einen Pappbecher ein zweites Mal benutzt und sich danach mit einem weiteren Kaffee in einem neuen Pappbecher dafür belohnt.
So stieß ich auf die Klimagerechtigkeitsbewegung. Ich wurde Teil von Ende Gelände und machte bei kleinen und großen Aktionen des Zivilen Ungehorsams mit. Mir fiel auf, wie gut diese Aktionsform zu mir passt, denn ich begehe keine großen Straftaten und kann trotzdem zeigen, wie wichtig und dringend das Eindämmen des Klimawandels ist. Auch die Menschen, die ich in der Bewegung begegne, schätze ich sehr. Ich habe viele spannende, coole und erfahrene Menschen kennengelernt, die einen sehr sozialen Umgang untereinander und mit mir pflegen. Ich lerne viel, ohne dass mir Personen sagen wie es wichtig ist, denn es wird gemeinsam gelernt. Gleichzeitig musste ich aber auch viele schlechte Erfahrungen machen, die meinen Glauben in unseren Rechtsstaat erschütterten. Ich sah viel übertriebene Gewalt von Seiten der Polizei, die wir nach dem Vorbild Mahatma Gandhis über uns ergehen lassen mussten.
Doch alles vorher Erlebte wurde von den Erfahrungen dieser letzten Aktion in den Schatten gestellt. Bei der Räumung vom Bagger wurde ich von zwei Polizeibeamten festgehalten. Der Vordere wandte einen Schmerzgriff an, so dass ich alle meine Bewegungen an seine anpassen musste, damit es nicht noch schmerzhafter wurde. Obwohl ich vollkommen kooperativ war, nutzte er den und ließ mich gegen hervorstehende Eisenteile des Baggers stolpern, so dass es weh tat. Das war sehr gefährlich, weil Menschen lieber nicht in 40m Höhe einen vereisten Kohlebagger runter stolpern sollten. Mein Handgelenk schmerzte noch am nächsten Tag von diesen paar Minuten. Menschen die vor und nach mir geräumt wurden, traf es teilweise noch viel brutaler und sie wurden z.B. am Kopf den Weg entlang gezogen. Bis wir in der Gefangenensammelstelle untersucht wurden, konnten wir uns teilweise mehrere Stunden nicht bewegen, saßen in zu engen Gurten mit Kabelbindern hinter dem Rücken verrenkt im Bus bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, ohne uns warm genug anziehen zu dürfen. Ich hatte am nächsten Tag Fieber. Wir durften auch nichts trinken, nichts essen und auch nicht auf die Toilette, nicht mal zum Tampon wechseln, was bei einer Person ziemlich doof endete. So war das für sechs Stunden. Als ich dann in der Gefangenensammelstelle registriert wurde, musste ich mich ohne einen Arzt dabeizuhaben nackt ausziehen und bücken. Eine weitere Rechtsverletzung. Mein Handy ist auch irgendwie aus dem Protokoll und meinem Rucksack verschwunden, ich werde es wohl nie wieder sehen. Da verwunderte es mich dann auch nicht mehr, dass wir nur Fisch zu essen bekamen und in den etwa 16 Stunden nicht telefonieren durften.
Noch stärker wurde mein Glauben in unseren Rechtsstaat von der Justiz erschüttert, von der ich bisher noch eher glaubte, dass sie objektiv handelt. Während wir noch am 5. Februar, also am nächsten Tag, in der Gefangenensammelstelle überlegten, später in die Sauna zu gehen, beschlossen Menschen der Justiz, uns in Untersuchungshaft zu stecken. Mit dem Vorwurf des Hausfriedensbruchs ist das bisher noch nie passiert. Bisher wurde das von Jurist*innen als vollkommen unverhältnismäßig ausgeschlossen und auch in den Tagen unserer Gefangenschaft ist diese Auffassung noch vorherrschend. Wir mussten uns eingestehen, dass unsere Inhaftierung einen Präzedenzfall schaffen sollte. Klar, wir könnten unsere Namen nennen und wären spätestens nach ein paar Tagen zurück im Alltag, doch auch das Verweigern unserer Identität ist politisch. Mit der Besetzung unseres Baggers versuchen wir nicht, uns persönlich einen Vorteil zu verschaffen, wir machen das als aktiver Teil der Zivilgesellschaft. Da sollte es egal sein, wer wir sind. Schlussendlich interessiert es das Rechtssystem auch nicht, wer bestraft wird, sonst wäre das bei uns auch nicht so willkürlich. Vielmehr ist es ein Einschüchterungsversuch und wir lassen uns nicht einschüchtern und sind jetzt noch zu dritt seit über einer Woche im Knast. Die anderen haben ihre Identität angegeben und konnten gehen. Das ist kein Zufall, dass genau wir übriggeblieben sind. Wir drei studieren und müssen im Vergleich zu den anderen nicht so dringend zur Arbeit, zur Familie oder sonstwohin. Es sind bestimmt Menschen sauer auf mich, weil ich mich nicht für Uni-Aufgaben oder andere Sachen bei ihnen melde. Aber ich kann meine Prüfungen auch ein andermal schreiben und hoffe einfach, dass alle anderen Verständnis für meine Situation haben ,denn am Ende bleiben wir hier auch stellvertretend für alle, die ihre Personalien abgegeben haben. Wir hoffen, dass so kein erfolgreicher Präzedenzfall geschaffen wird, der der Klimagerechtigkeitsbewegung und anderen Kämpfen in Zukunft schaden wird und versuchen durchzuhalten. Versprechen möchte ich nichts.
Diese Inhaftierung ist ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte. Statt auf Neonazis und Diebe zu stoßen, wie es oft von Medien vermittelt wird, sind die meisten Menschen cool und solidarisch mit uns. Wir müssen zwar um jeden Mist kämpfen, veganes Essen haben wir nach einer Woche und vielen Gesprächen mit unterschiedlichsten Leuten endlich bekommen und es gibt bei jeder Kleinigkeit Probleme, aber gemeinsam zu dritt und mit den anderen Gefangenen können wir hier zurechtkommen. Es hilft auch unglaublich, immer wieder zu erfahren, was alles draußen passiert und zu wissen, es gibt Menschen da draußen, die helfen uns. Zu den Erfahrungen der letzten Woche könnte ich noch viel mehr schreiben, doch das passiert ein andermal. Ich kann mir jetzt auf jeden Fall viel besser vorstellen, was es bedeuten muss, für Monate oder sogar Jahre im Gefängnis zu sein. Das ist eine schreckliche Vorstellung. Da finde ich die zeitliche Begrenzung bei uns sehr gut. Nun gehen wir für ein paar Wochen täglich eine Stunde draußen im Kreis, spielen drei Stunden Tischtennis und Karten mit den Menschen auf unserem Gang, stellen Anträge auf Sport und Papier und warten auf unsere Verhandlungen. Ich hoffe sehr, dass ihr, unsere Unterstützer*innen da draußen, euch nicht überarbeitet mit der Angst uns im Stich zu lassen, denn es geht uns soweit gut. Wir freuen uns schon darauf, keine Gitter mehr vor unseren Fenstern zu haben und all die Menschen wiederzusehen, die da draußen auf uns warten. Ich freue mich schon darauf, wieder aktiv politisch aktiv zu sein, denn hier wird es langsam langweilig. Zwar haben wir hier viel Zeit uns zu überlegen, wie Dinge wie Klimagerechtigkeit mit den Unruhen im Südsudan zusammenhängen und wie das zum Ausdruck gebracht werden kann, aber hier fehlt uns der Zugriff auf Wissen und Inspiration. Auch der Kaffee schmeckt im Alltag besser. Ich freue mich schon, mit meinem Mehrwegbecher Kaffee zu holen und wenn ich den vergesse zu waschen, was durchaus oft passiert, mir einen Pappbecher geben zu lassen, denn ich bin keineswegs perfekt. Ich möchte auch kein Vorbild sein, dafür bin ich zu schüchtern. Daher weiß ich auch nicht, was jede einzelne Person in Deutschland gegen den Klimawandel tun kann. Ich kann nur sagen, was mir gegen die Ohnmacht und Schuldgefühle hilft. Mein Wohlfühlrezept lautet Aktivismus.
Ganz viel Liebe und Stärke aus dem Knast, genannt Justizvollzugsanstalt Cottbus
Vincent oder UmP04
P.S. Viele Grüße an die Menschen im Rheinland in der Gesa!