Antirassistische Infomail #2 – Tokenism

In der Antirassistischen Infomail #2 möchte die Antira AG von Ende Gelände Berlin Tokenism bei Ende Gelände und in der deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung insgesamt problematisieren und dazu anregen sich über das Konzept zu informieren.

Liebe klimabewegte Menschen,

In unserer Antirassistischen Infomail #2 möchten wir Tokenism bei Ende Gelände und in der deutschen Klimagerechtigkeitsbewegung insgesamt problematisieren und dazu anregen euch über das Konzept zu informieren. In der Mail richten wir uns hauptsächlich an weiße (1) Menschen.
(Die Infomail #1 Allgemeines findet ihr hier: https://www.ende-gelaende.org/news/antirassistische-infomail-1/ )

Was ist Tokenismus?

Der Begriff wurde von der US-amerikanische Soziologin Rosabeth Moss Kanter Ende der 1970er-Jahre entwickelt. Er benennt, wenn marginalisierte Personen (ungewollt) eine Alibifunktion innerhalb von Gruppen einnehmen. Token werden nicht als Individuen betrachtet, sie werden lediglich als Repräsentant*innen „ihrer“ vermeintlichen Gruppe instrumentalisiert und so auf ihre vermeintlichen Identitätskategorien reduziert. Dadurch haben sie nicht die Möglichkeit für sich selbst zu sprechen, sondern sollen ganze (konstruierte) Gruppen repräsentieren. So werden marginalisierte Menschen wie BIPoC (Schwarze, Indigene und People of Color)( 2 ) oder FLINT Personen (Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary und Trans-) (scheinbar) sichtbar, die diskriminierenden Strukturen innerhalb der Organisation bleiben jedoch (gleich). Durch Tokenism stellen sich Gruppen oder Institutionen nach außen als emanzipiert und divers dar, um dafür Anerkennung zu bekommen, die privilegierten Menschen können sich aber innerhalb der Struktur ihre Machtposition und ihre Privilegien weiterhin absichern.

Durch Tokenism werden BIPoC ständig und NUR als Repräsentant*innen einer Gruppe und NUR als Ansprechnpartner*innen für Rassismuskritik und nicht als Individuen gesehen.

Wo gibt es Tokenism in der Klimabewegung?

Bei Ende Gelände und in der restlichen Klimabewegung in Deutschland gibt es zum Beispiel Tokenism, wenn BIPoC, die nie gesagt haben, dass sie gerne Pressearbeit machen würden oder in der Öffentlichkeit sprechen möchten direkt von weißen Menschen, die sie nicht oder nur flüchtig kennen, angefragt werden Pressearbeit zu leisten. Oder wenn BIPoC, die nie gesagt haben, dass sie Expert*innen in dem Thema Rassismus sind und, dass sie gerne dafür ansprechbar sind, dauernd danach gefragt werden. Dass an diesen Handlungen etwas problematisch ist merkst du vielleicht, wenn du dich fragst: würdest du eine weiße Person, die du kaum kennst und von der du nichts anderes weißt, als dass sie weiß und dir vielleicht sympathisch ist, fragen, ob sie für deine Gruppe ein Interview geben würde oder allen in der Gruppe das Konzept von kritischem Weißsein erklären kann? Wahrscheinlich nicht

Wie könnt ihr Tokenism vermeiden?

  1. Tokenism entsteht vor allem in Strukturen, in denen es eine starke Dominanz einer Gruppe gibt. In der Klimabewegung in Deutschland gibt es eine starke weiße Dominanz. Um Tokenism zu vermeiden, sollte also der erste Schritt sein aktiv daran zu arbeiten, die weiße Dominanz innerhalb der Strukturen abzubauen. Dafür braucht es aktive antirassistische Prozesse in denen danach gefragt wird, warum es eine weiße Dominanz gibt, und wie diese abgebaut werden kann. Dabei sollten weiße Menschen zunächst auf sich und ihre Handlungen schauen und sich fragen, wie sie dazu beitragen, dass hauptsächlich weiße Menschen angesprochen werden, anstatt das Problem darin zu sehen, dass „zu wenige“ BIPoC repräsentiert werden. Solange die Strukturen für BIPoC nicht zugänglicher sind, sollte es auch niemanden wundern, dass es wenig Repräsenation von BIPoC nach Außen hin gibt. Gleiches gilt natürlich auch für andere Diskriminierungsformen.
  2. Tokenism entsteht außerdem in Strukturen, in denen BIPoC vereinzelt sind und sich somit wenig mit anderen BIPoC über ihre Erfahrungen austauschen und selbst ermächtigen können. Es sollte von allen unterstützt werden, dass BIPoC sich innerhalb der Strukturen vernetzen und empowern können. Dazu kann zum Beispiel gehören, dass die gesamte Gruppe für die BIPoC professionelle Empowerment Angebote von BIPoC-Expert*innen finanziert. Dazu gehören aber auch Safer Spaces, wie ein BIPoC Zelt auf Aktionscamps oder BIPoC Aktionstrainings.
  3. Tokenism ensteht durch eine bestimmte Denkweise und Zielsetzung. Bevor du als weiße Person BIPoC für ein Interview oder ihre Meinung zum Thema Rassismus anfragst, überleg erstmal warum du das gerade tust. Geht es dabei um die Person selbst und ihre Skills? Oder geht es dabei um Repräsentation? Fragst du die Person, weil du denkst dass sie wahrscheinlich Interesse daran hat, oder weil du ihr Dinge zuschreibst nur weil die Person nicht weiß ist? Wenn du danach merkst, dass du möglicherweise eine Erfahrung von rassistischer Zuschreibung, Othering und/oder Tokenism bei der Person produzierst, solltest du sie lieber erstmal nicht fragen. Es gibt auch die Möglichkeit Menschen nicht direkt anzusprechen, sondern solche Anfragen an mehr Menschen zu richten. Presseanfragen könnten beispielsweise über Verteiler geschickt und darin explizit BIPoC angesprochen werden. Dann können Personen sich individuell entscheiden, ob sie Lust haben diese Aufgaben zu übernehmen und ob sie qualifiziert dafür sind.
  4. Tokenism entsteht, wenn die Stimmen, Forderungen und Vorschläge von BIPoC nicht gehört werden, sondern BIPoC nur für die Außenwirkung benutzt werden. Tokenism kann somit verhindert werden, indem BIPoC bestärkt werden. Wenn BIPoC zum Beispiel schon in Pressearbeit (oder auch anderen Bereichen) eingebunden sind, oder sagen, dass sie das gerne machen würden, ist es wichtig sie darin zu unterstützen und mögliche Hürden abzubauen. Das geht nur, wenn richtig zugehört wird und es die Bereitschaft gibt auch „altbewährte“ Methoden, Organisationsformen, Strategien usw. zu überdenken und rassismuskritisch zu verbessern. Außerdem: Nicht alle Menschen wollen im Rampenlicht stehen. So wie ihr es akzeptiert, dass viele eurer weißen Mitstreiter*innen aus guten und individuellen Gründen keine Lust haben in der Öffentlichkeit zu stehen, solltet ihr das auch euren Schwarzen, Indigenen und Mitstreiter*innen of Color zugestehen, wenn sie das äußern.

Wenn BIPoC rassistische Strukturen kritisieren, sollten weiße Personen ihnen nicht ungefragt die gesamte Verantwortung für einen antirassistischen Prozess aufdrücken, sondern sie fragen, was sie sich wünschen. Es kann sein, dass die Forderung ist, dass Rassismusexpert*innen dazu geholt werden, die antirassistische Prozessbegleitung als Lohnarbeit machen. Wenn ihr dies erst nehmen wollt, solltet ihr euch auch darum kümmern, dass diese Arbeit finanziert werden kann.

Hier findet ihr weiterführende Informationen:

Artikel:

– Azadê Peşmen: Hä, was ist denn ein Token?
https://missy-magazine.de/blog/2017/12/14/token/

– Poliana Baumgarten: Warum es nicht reicht, dass die Bahn mit People of Color wirbt
https://ze.tt/warum-repraesentation-von-menschen-of-color-auf-plakaten-nicht-genug-

Podcast:

– Parallel Dazu: Tokenism
https://open.spotify.com/episode/5Sgwo6tQCn52aakDcRJiBZ

Wir hoffen ihr könnt ein paar Denkanstöße mitnehmen und Tokenism in euren Gruppen reflektieren. Das Thema betrifft uns alle und nicht nur Menschen, die Pressearbeit machen. In der nächsten Mail wird es um Kulturelle Aneignung gehen.

Solidarische Grüße,

Eure Antira AG Berlin

(1) weiß : weiß bzw. weißsein bezeichnen ebenso wie der Begriff PoC keine biologische Eigenschaft, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit weißsein ist die dominante und privilegierte Position in dem Machtverhältnis Rassismus gemeint. Sie bleibt häufig unausgesprochen und unbenannt, obwohl zu jeder Diskriminierung sowohl eine diskriminierte, als auch eine privilegierte Position gehören. Im Gegensatz zu dem Begriff BIPoC ist weiß keine Selbstbezeichnung. Um zu verdeutlichen, dass weißsein ein Konstrukt ist wird es hier kursiv geschrieben.

(2) BIPoC: BIPoC steht für Black, Indigenous and People of Color, also Schwarze Menschen, Indigene Menschen und Personen of Color. Der Begriff ist eine Selbstbezeichnung, der sich gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft wehrt. Er beschreibt nicht die biologischen Merkmale von Menschen, sondern eine soziale Konstruktion, welche Menschen eine bestimmte soziale Position zuweist. BIPoC verbinden geteilte Rassismuserfahrungen, Ausgrenzungen von der weiß dominierten Mehrheitsgesellschaft und Zuschreibungen „anders“ zu sein.


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