#NotMyEnergiewende – Folge 1: Erdgas und Wasserstoff

Am 11.12.2020 wird in Berlin das Unternehmen Wintershall DEA blockiert um damit die Praxis dieses neokolonialen Unternehmens ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Auch wir wollen mit unserer Kampagne #NotMyEnergiewende die neokolonialen Aspekte der Strategien der deutschen Energiewende ans Licht bringen und dieses Handeln sichtbar machen.

In dieser Analyse schauen wir uns das Thema Erdgas, welches gerade mal wieder als „Brückentechnologie“ von der Erdgasindustrie und Teile der Politik angepriesen wird, an. Der Begriff „Brückentechnologie“ schreibt einer nicht zukunftsfähigen Technologie eine Legitimation zu, die auf der Annahme basiert, ein Übergang zur Alternative kann nur mit dem zeitlich begrenzten Weiterbetrieb der alten Technologie funktionieren 1) . So wurde einst und auch heute wieder versucht, die Atomkraft als „Brückentechnologie“ zu legitimieren und zu framen. Die Zuschreibung von Erdgas als „Brückentechnologie“ verhilft aber nur der Erdgasindustrie zu einer maximalen Ausschöpfung der Profite durch die bestehende Infrastruktur, verhindert aber gleichzeitig den konsequenten Aufbau eines bürgernahen, 100% erneuerbaren Energiesystems ohne Atomkraft und Negativemissionen. Eine weitere Strategie der Erdgasindustrie, um ihre Geschäftsmodelle und kapitalintensive Infrastruktur zu retten, ist das Narrativ der sogenannten „dekarbonisierten Gase“ und Wasserstoff. Dies folgt der Logik der Dekarbonisierung des Energieträgers anstelle der Dekarbonisierung des Energiesystems durch konsequenten Ausbau von erneuerbaren Energien und Verhaltens- und Konsumänderungen sowie Suffizienz-Strategien – sprich einem Systemwandel eben!

Im Folgenden wollen wir 3 Beispiele neokolonialer Praxis im Bezug zu Erdgas und Wasserstoff darstellen:

1. Wintershall DEA

Wintershall DEA, ein Zusammenschluss aus „Wintershall“ und der „Deutschen Erdöl Aktiengesellschaft“ (DEA) ist das größte deutsche Erdöl- und Gasunternehmen, welches zu 2/3 der „BASF“ und zu 1/3 dem russischen Oligarchen-Unternehmen „Letter One“ gehört. Als Erdöl- und Erdgasproduzent, sowie Anteilseigner verschiedener Unternehmen (unter anderem der Nordstream 2 AG) fördert Wintershall DEA mehr fossile Energieträger, als die komplette Deutsche Wirtschaft verbraucht (bezogen auf den Energiegehalt). Dabei ist das Unternehmen in Nordeuropa, Russland, dem mittleren Osten, Nord Afrika und Lateinamerika aktiv, jedoch bis heute in der Öffentlichkeit kaum sichtbar.

Ein Geschäftszweig ist das Fracking in Argentinien und Algerien. Nicht umsonst ist diese zerstörerische Praxis in Deutschland verboten. Neben der Umweltverschmutzung, die durch das Fracking und der damit zusammenhängenden Tätigkeiten die Lebensgrundlage der Bewohner*innen in den Gebieten vergiftet, werden auch immer wieder Menschenrechte verletzt und durch die emittierten Treibhausgase die Klimakrise weiter angeheizt. Wintershall DEA ist immer noch auf Wachstumskurs und will seine Tätigkeiten weiter ausweiten und durch Scheinlösungen wie CO2-Abscheide Technologien (CCS) und „blauer Wasserstoff“ das Unternehmensportfolio „grün“ anstreichen und ihm so eine Legitimation für die Zukunft verpassen. Die Firmengeschichte von Wintershall folgt einer ausbeuterischen, neokolonialen Logik durch Förderung von Rohstoffen in Drittländern – auch in der NS-Zeit hat das Unternehmen sehr stark von Enteignungen und Zwangsarbeit unter der NSDAP profitiert und dieses Regime und dessen Ziele aktiv unterstützt. Dieses Unternehmen und seine Tätigkeiten haben keinen Platz in einer konsequenten und gerechten Energiewende: „Wintershall DEA Must Fall“

2. Erdgas-Fracking in Steinkohleminen – „blauer Wasserstoff“ aus Kolumbien?

Die Erdgasindustrie setzt zur Rettung ihrer Geschäftsmodelle und der kapitalintensiven Infrastruktur unter anderem auf die Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas – sogenanntem „blauen Wasserstoff“. Wir wollen an dieser Stelle nicht detailliert darauf eingehen, dass Wasserstoff aus Erdgas kein Teil einer konsequenten Energiewende sein kann, nur so viel dazu: Zum einen benötigt diese Art der Wasserstoffherstellung die bis heute nicht vorhandene CCS Technik 2) , welche das CO2 (nicht vollständig) vom Erdgas abscheidet und dieses in Felsformationen und alten Bohrlöchern „endlagern“ will (ja „endlagern“!). Auch wenn dies irgendwann im benötigtem Maßstab möglich wäre, steht am Anfang dieses Prozesses immer noch das Erdgas, bei dessen Förderung und Transport unverbranntes Methan direkt in die Atmosphäre entweicht und damit die Klimakrise entscheidend befeuert 3) .

Den neokolonialen Aspekt wollen wir an folgendem Beispiel verdeutlichen: In Kolumbien gibt es Pläne von multinationalen Konzernen und der Regierung, in Steinkohleminen Erdgas zu fracken. Dafür haben sich auch erdgasfördernde und steinkohlefördernde Unternehmen zusammengeschlossen, um die Ausbeute an fossilen Rohstoffen eines Tagebaues und damit seine Wirtschaftlichkeit zu erhöhen, indem sie beide fossilen Energieträger abbauen. Kohle kommt nämlich häufig in Zusammenhang mit Erdgas vor, welches durch Fracking gefördert werden kann. Während wir in Deutschland jahrelang von der ausbeuterischen, menschenrechtsverletzenden und umwelt- und klimazerstörenden Steinkohleförderung in Kolumbien profitiert haben, wird die indigene und afrokaribische Bevölkerung mit der nächsten Katastrophe konfrontiert. Im Verborgenen werden hier Vorbereitungen getroffen und Abmachungen unterzeichnet, um das fossile Geschäft weiterführen zu können und durch Erdgas-Fracking zu erweitern, wobei auch deutsche Firmen wieder vorne mit dabei sind. Ein kolumbianischer Freund, welcher zu den Themen forscht, hat eine erste Vermutung, wofür die Mengen an Erdgas genutzt werden könnten:

„Ich habe heute mitbekommen, dass Siemens ein MoU mit Kolumbien abgeschlossen hat um grünen und blauen Wasserstoff zu produzieren, zu verflüssigen und zu exportieren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die kommende EE-Infrastruktur dann auf die Strukturen der Kohleförderung, vor allem in La Guajira, gebaut wird. Zwischen grünem Wasserstoff aus Elektrolyse und blauem aus gefracktem Erdgas könnte die Energiewende in der EU schön vorangetrieben werden, während wir eine Generation warten müssen, um die Energiewende in Kolumbien einzuleiten“.

3. „Grüner Wasserstoff“ aus Nord- und Westafrika

Das dritte Beispiel neokolonialer Praxis handelt von dem Stoff aus dem die Träume der „deutschen Energiewende“ gemacht sind – sogenannter „grüner Wasserstoff“. Kurz zusammengefasst geht es um folgendes: Da wir in Deutschland durch politisches Ausbremsen der Erneuerbaren sowie starren Strukturen, welche das „Exportmodell Deutschland“ schützen, die Energiewende im eigenen Land nicht schaffen, sollen es jetzt die Rohstoffe aus „Entwicklungs- und Schwellenländern“ richten.

Es gibt keinen ausreichenden politischen Willen, die Wind- und Sonnenkraft, sowie Netze und Speicher bedarfsgerecht auszubauen 4) , da die Pläne schon lange auf die Produktion und den Import von Energieträgern aus Drittländern ausgerichtet sind. Das ist die Grundlage der „Wasserstoff-Strategie“ der Bundesregierung. In der Öffentlichen Debatte wird meist auf die heimische Wasserstoffproduktion verwiesen die es zu entwickeln gilt, um dabei einen technologischen Vorsprung zum Beispiel bei Elektrolyseuren zu entwickeln, um diese Technologien dann weltweit exportieren zu können. Die Elektrolyse selbst, hat in Deutschland jedoch ein geringeres Potential. Um Wasserstoff durch Elektrolyse 5) herzustellen, braucht es sehr viel erneuerbaren Strom. Selbst bei einer enormen Ausbaurate von erneuerbaren Energien in Deutschland und Europa, kann der prognostizierte Bedarf an Wasserstoff nicht annährend gedeckt werden. Daher wird im großen Stile auf Importe gesetzt und zwar auf Regionen dieser Erde, in denen die Erneuerbaren-Potenziale (Sonneneinstrahlung und Wind) höher sind – also billiger erneuerbarer Strom produzieren werden kann. Dafür kommen der afrikanische und der südamerikanische Kontinent 6) sowie die Golfregion aber auch Australien in Frage. Abgesehen davon, dass es noch keinen globalen Wasserstoffmarkt gibt, die Produktion und der Transport extrem ineffizient sind und dadurch auch diese Form des Wasserstoffes nicht als klimaneutral angesehen werden kann, bleibt noch eine weitere Befürchtung bestehen. Es muss davon ausgegangen werden, dass bei der Wasserstoffproduktion in sogenannten „Entwicklungs- und Schwellenländern“ die Wirtschaftlichkeit nur dadurch erreicht werden kann, wenn soziale und ökologische Standards vor Ort nicht eingehalten werden. Es ist und bleibt eine absurde neokolonialistische Vorstellung, in Gebieten, in welchen häufig Strom- und Trinkwasserknappheit herrscht, genau aus diesen Ressourcen Wasserstoff für die Europäische Energiewende herzustellen. Weiter besteht die Gefahr, dass am Ende doch klimaschädlicher „blauer Wasserstoff“ zur Kompensation von nicht vorhandenem „grünem Wasserstoff“ genutzt wird, wenn es nicht möglich wird, die enormen Mengen an „grünem Wasserstoff“ herzustellen und zu transportieren.

Kontakt: stopsteinco2le@riseup.net

Übersicht über alle Folgen der Kampagne


1)
Weitere Informationen dazu: https://www.diw.de/de/diw_01.c.798193.de/publikationen/diskussionspapiere/2020_1892fossil_natural_gas_exit_____a_new_narrative_for_the_european_energy_transformation_towards_decarbonization.html?fbclid=IwAR0NIXF4S-u5UUghVzH7CGBlTkeu74ob032xCm6A_tFO263JTeheW_JJSHI oder https://gofossilfree.org/de/gas-stinkt/

2)
CCS ist der Versuch der fossilen Energiewirtschaft, durch vorsätzliche Irreführung von Politik und öffentlicher Meinung, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern (Kohle, Erdgas, teilweise Erdöl) zu verzögern und Überschreitungen von CO2-Budgets durch „Negativemissionen“ auszugleichen

3)
Durch Vorketten-Emissionen, (Leckagen, Abfackelungen und Entlüftungen) welche bei der Förderung, dem Transport und der Speicherung von Erdgas immer auftreten, werden erhebliche Mengen an Methan direkt in die Atmosphäre emittiert wird. Das Treibhausgaspotenzial von Methan ist, gesehen auf 20 Jahre, 86-mal größer als das von CO2

4)
Auf die Notwendigkeit von Suffizienz und Verhaltensänderungen wollen wir hier nicht näher eingehen. Natürlich ist dies aber zwingend notwendig um innerhalb der planetaren Grenzen zu bleiben und sich der Gerechtigkeit anzunähern

5)
Bei der Elektrolyse wird Wasser mithilfe von elektrischen Strom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) gespalten

6)
Siehe dazu: https://www.bmu.de/pressemitteilung/bmu-und-bmwi-unterstuetzen-nachhaltige-wasserstoff-produktion-in-entwicklungs-und-schwellenlaendern/

Kontakt: stopsteinco2le@riseup.net


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